Das Urfehdewesen im deutschen Südwesten
Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
Andreas Blauert
Urfehde – so wurde zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert der Eid genannt, mit dem alle aus Gefängnis, Zuchthaus oder Untersuchungshaft Entlassenen beschworen, sich für die erlittene Haft nicht zu rächen.
Die vorliegende Studie untersucht diese in großer Zahl überlieferte, gleichwohl bislang wenig untersuchte Quelle auf der Grundlage aktueller historischer Fragestellungen und Perspektiven.
In den Blick genommen werden zunächst die verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Aspekte des Themas. Als wichtiger Maßstab für die Einschätzung und Bewertung der südwestdeutschen Quellenüberlieferung erweist sich die Diskussion um die Entstehung des sogenannten öffentlichen Strafrechts. Es zeigt sich, daß die Geschichte des Urfehdewesens eng mit der Entstehung und Durchsetzung eines öffentlichen oder staatlichen Strafanspruchs verbunden ist, mehr noch, daß sich die Entstehung des öffentlichen Strafrechts in der Entwicklung des Urfehdewesens regelrecht abgebildet und dieses gründlich verändert hat.
Die weitere Untersuchung steht im Kontext der aktuellen Diskussion der Historischen Kriminalitätsforschung um die langfristige Veränderung der vorherrschenden Formen abweichenden Verhaltens und ihrer Verfolgung in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaft. Dabei zeigt sich, daß es verschiedene, einander ablösende Formen abweichenden Verhaltens waren, die zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert in und mit Urfehden hauptsächlich sanktioniert wurden: Zunächst Gewaltdelikte sowie Vergehen und Verbrechen gegen die Obrigkeit, später Sittlichkeits- und Gewaltdelikte und schließlich Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte.
Nicht nur das Rechtsinstitut, die Urfehde der Alten Gerichtsbarkeit, wandelte sich also, sondern auch die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Verfolgung immer neuer, in veränderten gesellschaftlichen Kontexten stehender Formen abweichenden Verhaltens. Die Untersuchung gibt so den Blick frei auf zentrale Enticklungen unserer Gesellschafft auf ihrem Weg in die Moderne.