Zwischen deutscher und jüdischer Identität
Deutsch-jüdische Familien und die Erziehung ihrer Kinder an einer jüdischen Reformschule im „Dritten Reich“
Werner Fölling
Über das deutsche Judentum ist um 1988 in der Bundesrepublik eine Viel zahl historisch-sozial wissenschaftlicher Darstellungen erschienen. Äußerer Anlaß dafür war der 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938. Ein tiefer liegendes Motiv als das der moralischen Verpflichtung zur Erinnerung scheint aber eher die wachsende Erkenntnis gewesen zu sein, daß eine kulturell wichtige und wertvolle Gruppe aus Deutschland verschwunden ist und dies speziell in liberalen gebildeten Kreisen als ein nicht mehr zu kompensieren der Verlust registriert wird. Nachdem bis in die 80er Jahre hinein überwiegend allgemeinere Mono graphien und Artikel über die Geschichte des (deutschen) Judentums und über den (deutschen) Antisemitismus erschienen sind, wobei vor allem die Entstehung des Antisemitismus und die Verfolgung der Juden dargestellt worden sind, richtet sich das Interesse in den letzten Jahren verstärkt auf die Beschreibung des jüdischen Lebens sowie auf die von den Opfern erlebten Situationen der Verfolgung und ihre Reaktion darauf. Das Bild der deutschen Juden als scheinbar völlig willenlose Opfer hat sich bei genauerem Hinsehen als zu undifferenziert erwiesen angesichts der Tatsache, daß von der „Macht ergreifung“ 1933 bis zur Vernichtung 1942/43 fast 10 Jahre lagen, in denen durch zunehmende Ausgrenzung eine verstärkte Hinwendung zur jüdischen Gemeinschaft erzwungen wurde, wodurch ein intensives jüdisches Leben mit vielen kulturellen Leistungen und Experimenten entstand.