Ich bin Ägypter und ich bin schwul
Ein Lebensbericht
Mostafa Fathi, Matthias Kündig, Hans Mauritz, Daniel Reichenbach
Der junge Essâm lebt in einer Gesellschaft, die Homosexualität ablehnt und verdammt. Zum ersten Mal in Ägypten ergreift ein Schwuler selbst das Wort und spricht von seinen Träumen und Idealen, von seinen Ängsten und seiner seelischen Zerrissenheit. Als Leser begegnet man einem «ganz normalen» jungen Mann, der sich nach Glück und Liebe sehnt, mit der einzigen Besonderheit, dass sich sein Verlangen auf Personen des gleichen Geschlechtes richtet. Ihm gelingt es jedoch kaum, eine glückliche Beziehung zu einem Partner aufzubauen: zu gross sind seine inneren Widerstände, seine Furcht vor Sünde und vor Gott. Sich offen zu seiner Divergenz bekennen darf er nicht, weder in seinem Elternhaus noch im Kreis der Mitstudenten.
Essâm muss mit zwei Gesichtern leben und riskiert, an dieser Zerrissenheit zu zerbrechen. Er leidet an Gewissensbissen und denkt an Selbstmord. Als gläubiger Muslim ist er hin- und hergerissen zwischen spiritueller Suche und einem «sündigen» Tun, das zur Verdammnis führt. Er sehnt sich danach, offen zu seiner Andersartigkeit zu stehen und die Gesellschaft dazu zu bringen, ihn zu akzeptieren. Ein Albtraum zeigt, dass dieses «Outing» scheitern muss. Seinen schwulen Freunden, die ihre Homosexualität viel mutiger als Essâm ausleben, geht es nicht besser: der eine wird in einen Hinterhalt gelockt, ausgeraubt und zusammengeschlagen, der andere auf der Polizeistation gefoltert und vergewaltigt.
Mostafa Fathi stellt das Thema Homosexualität in einen grösseren Zusammenhang. Nicht nur Schwule werden verfolgt, sondern auch Oppositionelle und Anhänger anderer Religionen, im schlimmsten Fall jeder, der eine abweichende Meinung vertritt. Der Andere wird abgelehnt und ausgegrenzt.
Anliegen des Buches ist es, für eine Kultur der Akzeptanz in einer muslimisch geprägten Gesellschaft zu kämpfen. Homosexualität ist nicht nur im öffentlichen Diskurs und im alltäglichen Leben und Reden ein Tabu, sondern wird auch in der ägyptischen Literatur fast immer als verwerfliches Phänomen behandelt. Erst seit wenigen Jahren gibt es Homosexuelle, die sich zu ihrer Identität bekennen und begonnen haben, für ihre Rechte zu kämpfen. Der Mut des jungen Journalisten Mostafa Fathi ist unter diesen Umständen bewundernswert.
Im Jahre 2009 veröffentlichte er den Bericht «Im Land der Knaben», der schon lange vor seiner Publikation für Aufregung in den Medien und in konservativen und islamistischen Kreisen sorgte. Auf Facebook wurde eine Kampagne gegen den Autor inszeniert, den man beschuldigte, das Image der ägyptischen Gesellschaft zu besudeln. Journalistenfreunde sagten sich los von ihm, und seine eigene Mutter meinte, die Regierung müsse solche Schwulen öffentlich hinrichten. Als das Buch überraschenderweise die Zensur passierte, weigerten sich mehrere Buchhandlungen, es ins Sortiment aufzunehmen, oder verkauften es fast heimlich unter dem Ladentisch. Trotzdem wurde es in dieser Zeit des Aufbruchs und der Rebellion zu einem beachtlichen Erfolg.
Im Interview, in der Mitte des Buches, erklärt der Autor, was sich seit der Revolution von 2011 für die Homosexuellen geändert hat und was nicht. Der anschliessende Essay «Tabuthema Homosexualität – Literatur und Leben» stellt diesen Lebensbericht in einen gesellschaftlichen und literarischen Zusammenhang.